Tamara Mendelsohn: „Ich glaube nicht daran, dass es Fehler bei der Karriere gibt.“

Bammel vorm Vorstellungsgespräch und Assessment Center? Dann stell dir mal vor, du sollst die Job-Interviews für deinen zukünftigen Chef mitgestalten und gleichzeitig zeigen, dass du den Job auch selbst schaffen würdest – nicht in einer Fallstudie, sondern im Tagesgeschäft. Das ist Tamara Mendelsohn bei Eventbrite passiert. Die Vizepräsidentin der Online-Ticketing-Plattform verrät im Interview, wie sie binnen fünf Monaten von der Community Managerin zur Marketingchefin aufstieg, wie man sich die richtigen Mentorinnen und Mentoren angelt – und was einem im Eventbrite-Büro blüht, wenn man am Geburtstag zur Arbeit kommt.

Tamara, du hast nach dem BA eine Karriere im börsennotierten Marktforschungsunternehmen Forrester Research begonnen und bist nach einigen Jahren noch mal zurück zur Uni gegangen. Wie bist du danach bei Eventbrite gelandet?

Tamara Mendelsohn: Nach dem MBA wollte ich bei einem Tech-Start-Up arbeiten, aber im Frühling 2009, kurz nach der Finanzkrise, hatte kaum ein Start-Up offene Stellen. Eventbrite gehörte zu den wenigen Ausnahmen. Gleichzeitig hatte ich das Angebot, bei einer sehr großen Firma anzufangen. Als ich dennoch bei Eventbrite vorsprach, sagten sie mir: Wir haben kein großes Budget, und wir brauchen eigentlich nur jemand, der dabei hilft, eine Community aufzubauen, und ein bisschen Social Media- und Content-Marketing betreibt. Du kannst bei uns kein Geld für Anzeigen ausgeben – oder überhaupt mit einem Budget arbeiten.

Für den Job warst du offenbar überqualifiziert.

An diesem Punkt wurde mir klar: Wenn ich den Sprung in die Start-Up-Welt wage, geht es mir gar nicht um einen schicken Titel oder ein beeindruckendes Ausgabenbudget. Das wichtigste für mich ist die Chance, mit Menschen zu arbeiten, von denen ich lernen kann, mich mit einem spannenden Markt auseinanderzusetzen und die Möglichkeit, daran zu wachsen. Das traf bei Evenbrite zu. Und nach ein paar Monaten, in denen ich mit dem Community-Aufbau begann, die Facebook-Seite und den Blog anlegte und mit Veranstaltern in Kontakt trat, die unseren Service nutzen, entschieden wir uns, auf Investorensuche zu gehen, das war sehr spannend. Danach wollten Kevin und Julia Hartz, unser CEO und President, in den Aufbau eines Marketingteams investieren und die Stelle eines Marketingdirektors ausschreiben. Ich sollte bei der Auswahl dabei sein, mich an den Vorstellungsgeprächen beteiligen und dabei helfen, meinen zukünftigen Boss zu finden. Nach etwa einem Monat voller Gesprächen mit Kandidaten dachte ich: Den Job könnte ich doch machen!

Wie haben deine Chefs, die Firmengründer, darauf reagiert?

Kevin und Julia sagten: „Na gut, wir wollen uns ja eh noch einige Kandidaten anschauen. Fang du doch mal an, so zu arbeiten, als wärst du Marketingchefin, dann sehen wir, wie es läuft.“ Das habe ich dann gemacht. Ich nahm mir Zeit, um eine Strategie formal aufzubauen, ich arbeitete an Kampagnen, die über Community Building und Social Media-Management hinausgingen, und nebenbei saß ich immer noch in Vorstellungsgesprächen mit meinen potenziellen zukünftigen Vorgesetzten. Kurz vor Weihnachten riefen die Hartz‘ mich dann in ihr Büro. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie diese eine Kandidatin einstellen würden, die sehr viel Erfahrung hatte und von Google kam, und dachte mir: „Gut, ich habe es wenigstens versucht, und ich habe mir selbst bewiesen, dass ich auf dieser höheren Ebene arbeiten kann. Und von dieser Frau kann ich viel lernen.“ Das passierte aber nicht, denn sie sagten: Wir wollen dir den Posten geben. Und dann weinten wir alle. (lacht) Ich war so überrascht, richtig geschockt, und gleichzeitig total aufgeregt. Dass sie das Vertrauen in mich hatten, dass ich das hinkriege, war sehr bewegend und sehr motivierend.

Welche Fähigkeiten, welche Schritte während dieser Testphase haben dir diesen Erfolg eingebracht?

Der erste und vermutlich wichtigste Punkt ist Furchtlosigkeit. Ich hatte das Gefühl, ich hätte nichts zu verlieren: Entweder stellen sie jemand anderen ein oder nicht. Aus Angst heraus handelt man viel konservativer, weniger kreativ, weniger risikofreudig. Hat man dagegen keine Angst, eröffnet das alle möglichen spannenden Chancen. Der zweite wichtige Punkt war, dass ich mir Hilfe suchte. Ich hatte noch nie ein Marketingteam geleitet, ich wusste überhaupt nicht, wie das alles geht, im Ernst. Die Bescheidenheit und den Grips zu haben, hinzugehen und Leute um Hilfe zu bitten, war entscheidend.

Wie soll ich mir das denn nun vorstellen: Mit dem MBA in der Tasche und im ersten Job danach rufst du einfach irgendwen an und sagst: Hallo, ich bräuchte mal Ihre Hilfe?

(lacht) Na, so ähnlich. Das war meine erste Lektion darin, wie man Mentoren findet. Zunächst einmal hatte ich im Sommer davor ein Praktikum bei Apple gemacht, und meine Vorgesetzte dort ist eine tolle Marketingfrau. Die habe ich als Erste angerufen. Ich sagte: „Hey, ich habe hier sozusagen eine Probezeit als Marketingchefin bei Eventbrite.“ Und sie sagte: „Oh, das ist ja super! Wie kann ich dich unterstützen?“ Woraufhin ich sagte: „Na ja … Wie schreibt man denn so einen Marketingplan?“ (lacht) Das hat sie mir dann erklärt. Es ist also wichtig, erst mal zu überlegen, wen ich wohl kenne in dem Bereich. Zweitens habe ich mein Netzwerk von der Uni genutzt. Wir hatten dort eine Karrierewebsite, wo man nachschauen konnte: Wer macht Marketing in San Francisco? Der dritte Ausgangspunkt bei meiner Mentorensuche war Kevin Hartz, einer unserer drei Gründer. Eventbrite war nicht seine erste Firma, er war ein sehr umtriebiger Investor und Unternehmer im Silicon Valley. Deshalb fragte ich ihn einfach: Wer sind die besten Marketingleute, die du von früheren Firmen kennst? Daraufhin stellte er mich einer ganzen Reihe Leuten vor. Dafür war ich sehr dankbar.

Welche Erfahrungen hast du damit gemacht, wie mögliche Mentoren auf Anfragen reagieren?

Den Leuten, die ich über das Uni-Netzwerk fand, sagte ich zum Beispiel: „Hey, wir waren auf derselben Uni, haben uns dort aber nie kennen gelernt, aber ich würde Sie gern auf einen Kaffee treffen.“ Sagt man dagegen „Ich hätte Sie gerne als Mentor“, kriegt man keine Antwort. Und beim Kaffee kriegt man sehr schnell heraus, ob man von diesen Leuten lernen kann. In dem Fall sagt man dann: „Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Ich würde Sie gerne in ein paar Wochen noch einmal treffen und Ihnen von meinen Fortschritten erzählen.“ Erst nach einer Weile entsteht da mehr, sie beginnen, sich für deinen Erfolg zu engagieren und wollen sehen, wie es läuft.

Was hast du denn in deiner Ich-tu-mal-so-als-sei-ich-Marketingchefin-Phase, wo du ganz akut Hilfe brauchtest, mit deinen nagelneuen Mentoren besprochen?

Ich fand einige Menschen, die bereit dazu waren, Zeit auf mich zu verwenden und mir zu helfen, einige der Herausforderungen anzugehen, die mir da entgegenblickten. Sie zeigten mir, wie ich das Problem gedanklich angehen sollte, wie ich es formuliere, wie man testet. Wenn man dabei eine rasche Auffassungsgabe beweist und zeigt, dass man ihren Rat und und Rückmeldung aufnimmt und dann ein paar Wochen später ankommt und sagt: „Hey, ich hab das so gemacht, wie Sie es mir geraten haben, schauen Sie sich mal diese tollen Ergebnisse an!“ – dann sind die Leute bereit, mehr in dich zu investieren.

Inzwischen bist du auch für andere Menschen eine Mentorin. Was ist ein häufiger Fehler, den Frauen in ihrer Karriere machen?

Komischerweise sehe ich gar nicht so viele Fehler. Mehr noch: Ich glaube nicht daran, dass es Fehler bei der Karriere gibt. Da gibt es nur Wege, für die du dich entscheidest, und Veränderungen. Das Einzige, was ich vielleicht dazu sagen kann: In Deutschland mag das anders sein, aber im Silicon Valley bleiben die Leute selten lange in einem Job. Das kann ein Fehler sein. Ich finde es sehr wichtig, seine Aufgaben am Ende richtig zu beherrschen. Doch etwas wirklich zu begreifen, zu lernen, Dinge zu testen und von den Ergebnissen zu lernen, braucht Zeit. Dahin kommt man nicht in einem Jahr. Wenn es also überhaupt einen allgemeinen Karrierefehler gibt, dann den, nicht lange genug zu bleiben, um ein Meister seiner Zunft zu werden.

Was war denn das letzte, was du gelernt hast?

(lacht) Ich lerne immer noch so viel, ob es das Geschäft betrifft oder Menschen. Ich verbringe ja inzwischen viel Zeit damit, ein Team zu führen, und das ist täglich eine Lernerfahrung: Wie motiviert man ein Team? Wie regelt man die Leistung des Teams? Wie koordiniert man ein sehr globales Vertriebsteam? Aber die wichtigste Lektion für mich über die Jahre ist eine über Veränderungen: Man muss Veränderungen bereitwillig annehmen. Das fällt vielen schwer, mir auch. Aber wer erfolgreich ein Geschäft aufbauen will, hat mit sehr vielen Veränderungen zu tun, gerade in der Aufbauphase. Was mich dorthin gebracht hat, wo ich gerade stehe, wird mich nicht auf die nächste Stufe bringen. Deshalb muss ich gut damit klarkommen, mich selbst ganz neu aufstellen und uns als Firma komplett umzukrempeln. Das ist die Voraussetzung für Wachstum in diesem Feld.

Noch eine Frage zu Fähigkeiten: Deine Jobbeschreibung auf LinkedIn enthält unter anderem die Aufgabe „allgemeiner Unfug“. Was soll das denn heißen?

Wenn jemand Geburtstag hat, stellen wir zum Beispiel schon mal dessen gesamten Schreibtisch in ein Bällebad. Oder ich komme von einer Dienstreise zurück, und mein gesamter Schreibtisch, sogar mein Telefon ist mit orangen Tictacs übersät. Wir machen Scherze, spielen einander Streiche, das gehört bei uns dazu. Dahinter steckt, dass es uns bei Eventbrite von Anfang an sehr wichtig war, uns selbst nicht so wichtig zu nehmen und Spaß zu haben. Jemanden zu finden, der sich selbst nicht bierernst nimmt, ist mir beim Einstellen neuer Leute ebenso wichtig wie darauf zu schauen, dass er klug, ehrgeizig und kreativ ist. So habe ich ein Team aufgebaut, das toll zusammenarbeitet, sich gegenseitig antreibt und herausfordert, aber ebenso sehr auch zusammen Spaß hat.

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